Zwischen Bibel und Legende – Warum Ochs und Esel Jesus schon früh verehrten
Krippenszenen um Weihnachten zeigen meist einen Ochsen und einen Esel neben dem neugeborenen Jesus. Nach dem Lukas-Evangelium legte Maria ihr Kind in eine Krippe – eine Futterkrippe – „weil kein Platz für sie in der Herberge war.“ Nicht bloß Wächter, der Ochse und der Esel verweisen auf Jesaja 1,3, eine von frühen Christen als Prophezeiung der Geburt Christi interpretierte Textstelle. In manchen frühen Darstellungen knien diese Lasttiere, um ihre Ehrfurcht zu zeigen – sie erkennen das in Windeln gewickelte Kindlein, das in bescheidenen Umständen in die Welt kam, als Herr. Die kanonischen Evangelien, die Berichte über Jesu Leben im Neuen Testament der Bibel, erwähnen diese Tiere nicht, die das Neugeborene begrüßten. Dennoch wurde dieses Motiv bereits im vierten Jahrhundert in der Kunst gesehen. Es wurde weiter durch das Pseudo-Matthäus-Evangelium populär gemacht, ein apokrypher Text – der nicht in den Kanon der Schrift aufgenommen ist. Pseudo-Matthäus wurde von einem anonymen Mönch verfasst, vermutlich im siebten Jahrhundert, und enthält viele Erzählungen über das Aufwachsen Jesu. Nach der Geburt Jesu bleibt die Bibel in der Regel still über seine Kindheit. Dennoch kursieren Legenden über Jesu frühe Jahre im Mittelalter – der Schwerpunkt meines im Jahr 2017 erschienenen Buches. Während die Details von Ochse und Esel heute vielen Christen vertraut sind, wissen nur wenige von den anderen auffälligen Erzählungen, die durch die Apokryphen überliefert sind.
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Der Tempelbesuch im Alter von zwölf Jahren und die rebellische Jugend
Die Bibel enthält eine berühmte Szene aus Jesu Jugend: der Vorfall, dass der zwölfjährige Jesus im Tempel Jerusalems blieb, unbekannt für seine Eltern. Vergeblich suchen sie ihn in großer Angst und finden ihn im Gespräch mit religiösen Lehrern, die ihn fragen und von seinen Antworten staunen lassen. Das 14. Jahrhundert Gemälde von Simone Martini, Christus im Tempel gefunden, zeigt ihn vor seinen Eltern mit verschränkten Armen – ein eigensinniger Jugendlicher, der offenbar keine Reue darüber empfindet, sie tagelang beunruhigt zu haben.
Wunderkinder und Drachen: Die apokryphen Kindheitslegenden
Das apokryphe Pseudo-Matthäus-Evangelium – insbesondere Versionen, die Material aus dem noch älteren apokryphen Evangelium des Thomas enthalten – konzentriert sich auf Jesu Kindheitsjahre. Wie die Tempelgeschichte zeigen sie den Jungen Jesus als manchmal schwierig und mit einer übersinnlichen Weisheit, die seine Lehrer staunen lässt und sie sogar beleidigt. Noch dramatischer zeigen die apokryphen Legenden, dass Jesus göttliche Macht schon in sehr jungem Alter ausübt. Wie der erwachsene Jesus des Neuen Testaments vollbringt auch dieses Kind Jesus oft Wunder, um anderen in Not zu helfen. Nach dem biblischen Matthäusweg nehmen Maria und Josef das Kind nach Ägypten, nachdem ein Engel im Traum gewarnt hatte, dass Herodes das Kind töten wolle. In Pseudo-Matthäus Ausarbeitung dieser Episode sehen wir Jesus, noch nicht zwei Jahre alt, mutig vor Drachen stehen, die aus einer Höhle hervorkommen. Die furchterregenden Drachen verehren ihn und ziehen wieder ab, während Jesus den Umstehenden versichert, dass er der „perfekte Mann“ sei und „alle Arten wilder Bestien bändigen“ könne. Später befiehlt er einer Palme, sich zu neigen, damit Maria die Früchte genießen kann, und verkürzt auf wunderbare Weise ihre Reise durch die Wüste. Zu Zeiten dieser Legenden kann Jesus auch für die Schwierigkeiten um ihn herum verantwortlich sein. Die 14. Jahrhundert Tring Tiles, heute im British Museum, zeigen einen von Jesu Freunden, der von seinem Vater in einen Turm eingesperrt wird. Christus zieht ihn aus einem winzigen Loch heraus, wie ein Ritter, der eine Jungfrau rettet. Der Vater hatte versucht, seinen Sohn vor Jesu Einfluss zu schützen – verständlich, wenn man bedenkt, dass viele Legenden zeigen, wie Jesus den Tod von Spielgefährten oder anderen Jungen herbeiführt, die ihn irritierten. In einer von einem Gelehrten zusammengefassten Geschichte – „Tod durch eine Beule“ genannt – stößt ein Junge mit Jesus zusammen. Er verflucht das Kind, das sofort tot zu Boden sinkt – doch Jesus erweckt es nach einer kurzen Ermahnung von Joseph wieder zum Leben. In einer weiteren, in einem angelsächsisch-normannischen Manuskript überlieferter Erzählung zieht Jesus seinen Mantel aus, legt ihn auf einen Sonnenstrahl und sitzt darauf. Die anderen Kinder versuchen es nachzumachen, doch sie sind zu ehrgeizig und stürzen nacheinander, wobei sich jeder das Genick bricht. Jesus heilt die Jungen auf Anordnung seiner Eltern. Der siebenjährige Jesus wird bei einem Färber in Lehre genommen und erhält sehr genaue Anweisungen, drei Stoffstücke in drei verschiedenen Becken zu färben. Als sein Meister gegangen ist, ignoriert Jesus diese Anweisungen, wirft alle Stoffe in ein Becken – und dennoch gelingt das gewünschte Ergebnis. Als der Meister zurückkehrt, glaubt er zunächst, von diesem kleinen Schelm ruiniert worden zu sein, erkennt aber, dass ein Wunder geschehen ist. Diese apokryphen Legenden zeigen auch Jesus Macht über die Tierwelt. Wenn er eine Höhle eines Löwen betritt, schnurren die Löwenjungen um seine Füße, und die älteren Löwen stehen in Distanz und verehren ihn. Die Tiere erkennen und verherrlichen ihren Herrn. All dies malt Jesus als eher hochmütigen Jungen, der sich seiner Göttlichkeit bewusst ist und ungern von Älteren belehrt wird. Zugleich zeigt er sich als echtes Kind, das gern spielt. Seine Zuneigung zu Tieren lässt ihn kindisch wirken, denn die Tiere scheinen oft früher zu begreifen, dass Jesus mehr ist als ein gewöhnliches Kind. Jene Legenden tragen auch eine antisemitische Unterton: Die Vorstellung, dass viele Juden um Jesus herum nicht so scharfsinnig seien wie die Tiere, spiegelt das verbreitete Vorurteil im mittelalterlichen Europa wider. In einer Predigt aus dem fünften Jahrhundert, Quodvultdeus, Bischof von Karthago, fragt, warum die Tiere’ Erkennen Jesu in der Krippe kein ausreichendes Zeichen für die Juden sei. In der Bibel vollbringt Jesus sein erstes Wunder als Erwachsener, bei einer Hochzeit in Kana. Die apokryphen Erzählungen spielen mit der Idee, Jesus könne seine Macht schon früh offenbaren. Die Legenden deuten darauf hin, dass die Kindlichkeit Christi viele Umstehende ablenkte, sodass sie nicht zu dem Schluss kamen, er sei der Messias. Dadurch widersprechen die Apokryphen der Bibelstelle, in der Jesus einfach „des Zimmermanns Sohn“ genannt wird – dem Gegenteil eines Wunderkindes.
Weihnachten heute – Faszination des Mittelalters vs. moderner Konsum
Jedes Weihnachten feiern moderne Christen in der westlichen Welt oft Jesu Geburtstag, doch oft bleibt das Motiv des Christuskindes bald wieder hinter sich. Im Mittelalter jedoch faszinierten Legenden über das Aufwachsen des Sohnes Gottes – Drachenzähmer, Heiler und Magier – die Gläubigen. Das junge Jesuswesen der Apokryphen bleibt hinter seinen Tugen verborgen, während es seine Göttlichkeit durch eine Haltung des „kleinen Schelms“ zu verschleiern scheint.