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Barr schlüpft in ein Krokodilkostüm und geht direkt in das Reich der Nilkrokodile

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Die meisten Menschen fürchten Krokodile. Brady Barr, ein amerikanischer Herpetologe, widmete ihnen sein ganzes Leben. Im Jahr 2007 wagte er einen Schritt, den seine Kollegen als Selbstmord bezeichneten: Er schlüpfte in einen metallenen Anzug, der als Krokodil getarnt war, und machte sich direkt auf den Weg in das Reich der Nilkrokodile.

Barr schlüpft in ein Krokodilkostüm und geht direkt in das Reich der Nilkrokodile

Eine spontane Idee aus der Schulklasse

Die Geschichte nahm fast einen zufälligen Verlauf. Barr kam in eine Schule, um den Kindern von seiner Arbeit zu erzählen. Er war bereits ein bekannter Herpetologe – einer, der Reptilien erforscht. Hinter ihm lagen mehr als hundert Dokumentarfilme für National Geographic, Expeditionen in achtzig Länder der Welt. Seine größte Leistung war die Arbeit mit allen Arten von Krokodilen, die es auf der Erde gibt. Es gibt dreiundzwanzig Arten, und Barr hat sie alle mindestens einmal gefangen – das war bislang noch niemandem gelungen. Nachdem die Lehrkraft eine Frage gestellt hatte, hob ein Schuljunge die Hand: „Und warum würden Sie sich nicht als Krokodil verkleiden und sich ihnen näher nähern?“ Die Erwachsenen lachten. Barr dachte nach. Die Idee schien verrückt, doch sie machte Sinn: Nilkrokodile in Afrika sind für Menschen wirklich schwer zu erreichen. Sie bemerken Menschen auf Distanz und gehen sofort ins Wasser. Wissenschaftler benötigten dringend Daten über diese Tiere – die Population schrumpfte, und niemand verstand genau warum.

Eine spontane Idee aus der Schulklasse

Die Konstruktion des Krokodilkostüms

Barr wandte sich an Ingenieure von National Geographic. Diese weigerten sich zunächst – zu gefährlich. Der Nilkrokodil kann bis zu sechs Meter lang werden und bis zu einer Tonne wiegen. Seine Kiefer schließen mit einer Kraft von zwei Tonnen pro Quadratzentimeter. Zum Vergleich: Der Biss eines Deutschen Schäferhundes ist deutlich schwächer. Doch der Wissenschaftler bestand darauf. Schließlich stimmte das Team zu. Die Arbeit dauerte zwölf Monate. Man fertigte eine Kopie des Kopfes eines echten Krokodils an und goss daraus eine Attrappe aus expandiertem Kunststoff. Sie wurde leicht. An den Körper kam ein Schutzrahmen aus Stahlstangen. Oben spannt man Kevlar-Gewebe darüber – wie in kugelsicheren Westen. Darüber zog man eine Gummihaut mit Schuppenmuster. Das Ergebnis wog 36 Kilogramm. Der Mann darin konnte nur auf allen Vieren kriechen. Die Sicht war fast null – etwa drei Meter nach vorne, dann war Schluss. Von der Seite und hinten war nichts zu sehen. Das Hauptproblem war jedoch der Geruch. Nilkrokodile haben einen ausgeprägten Geruchssinn. Sie bemerken Gerüche aus Kilometern Entfernung. Ein menschlicher Geruch würde sie sofort alarmieren. Daher wurde der gesamte Kostüm mit einer Mischung aus Krokodildung, Flusspferd-Dung und Flussdschlamm getränkt. Es war ekelhaft, aber überzeugend.

Die Konstruktion des Krokodilkostüms

Der Einsatz beginnt unter sengender Hitze

Januar 2007. Tanzania, am Ufer eines großen Flusses. Die Hitze betrug rund 50 Grad Celsius. Barr war zu diesem Zeitpunkt 44 Jahre alt – nicht der beste Zeitpunkt für extreme Experimente. Er schlüpfte in seinen Kostüm. Es wurde heiß und stickig. Die Kleidung war nass bis zur Haut – innerlich fühlte es sich an wie in einer Sauna. Das erste Hindernis waren die Hippos. Ein ganzes Rudel lag zwischen dem Wissenschaftler und seinem Ziel. Viele glauben, Hippos seien nur lustige, fette Tiere. In Wahrheit gehören sie zu den gefährlichsten Säugetieren Afrikas. Sie wiegen rund zwei Tonnen und laufen schneller als ein Mensch. Ihre Zähne bis zu einer halben Meter lang können einfach durchdringen. Barr begann zu kriechen. Langsam, möglichst leise. Metall quietschte. Steine ritzen die Knie trotz der Gewebe. Die Sicht bleibt begrenzt. Bis zu den Hippos waren es dreißig Meter. Zwanzig. Zehn. Einer von ihnen wendet den Kopf und schaut auf das seltsame Wesen. Barr erstarrt. Sekunden der Stille. Der Hippo wendet sich ab – uninteressant. Der Wissenschaftler atmet aus und kriecht weiter.

Der Einsatz beginnt unter sengender Hitze

Die Begegnung mit den Nilkrokodilen – eine Gruppe akzeptiert ihn

Nun liegen vor ihm rund zwanzig erwachsene Tiere in der Sonne. Barr sieht sie aus der Ferne: riesige Körper, geschlossene Augen, geöffnete Mäuler. Sie ruhen dicht beieinander. Zwischen ihnen und dem Operatorteam liegen nur ein paar Meter offenen Ufer; Die Gruppe bewegt sich kaum. Barr bewegt sich vorwärts. Alle fünf Meter macht er eine kurze Pause, um durchzuatmen. Die Hitze ist unerträglich. In der Metallkonstruktion wie in einem Ofen. Schweiß brennt in den Augen, aber er kann ihn nicht wischen – die Hände sind beschäftigt. Zwischen dreißig und zehn Metern vor den Krokodilen nähert er sich den Tieren. Einer hebt plötzlich den Ton; Ein Krokodil steht auf, geht in Richtung Wasser – direkt an dem sich anschleichenden "Bruder" vorbei. Es passiert in wenigen Metern Abstand. Es schaut nicht einmal hin. Zehn Meter. Barr wird schwindelig. Ist es die Hitze oder die Anspannung? Fünf Meter. Ein Krokodil öffnet plötzlich die Augen und starrt ihn an. Barr erstarrt, bewegt sich keinen Millimeter. Sekunden ziehen sich wie Stunden. Das Tier dreht seinen Kopf in seine Richtung. Die beiden Nasen Berührungsnähe – fast insgesamt. Barr hält den Atem an und denkt: »Wenn es jetzt angreift, rettet ihn der Kostüm nicht.« Der Krokodil öffnet den Mund und gähnt: eine riesige, rosa Öffnung mit krummen Zähnen. Dann legt es den Kopf wieder auf den Sand und schließt die Augen. Schon uninteressant. Barr erreicht die Gruppe. Jetzt ist er mitten unter ihnen. Links vor ihm liegt ein massiver Körper von etwa fünfeinhalb Metern Länge; rechts daneben ein etwas kleinerer von rund vier Metern. Vorsichtig holt er den ersten Sensor heraus und reicht ihn zum nächstgelegenen Krokodil hin. Die Haut ist warm – fast heiß – vom Sonnenlicht. Ein seltsames Gefühl: ein Kontakt mit einem Wesen, das dich töten könnte. Barr presst den Sensor fest. Kleber soll mehrere Monate halten.

Die Begegnung mit den Nilkrokodilen – eine Gruppe akzeptiert ihn

Die wichtigsten Sekunden – der Moment der Erkenntnis und der Rückzug

Und da passiert der Fehler. Zu schnell zieht Barr die Hand zurück. Das Krokodil dreht sich. Nun stehen sie Kopf an Kopf, Schnauze fast in derselben Höhe wie Barrs Kopie. Der Mund des echten Tieres ist dreißig Zentimeter von Barrs Gesicht entfernt. Er bewegt sich keinen Millimeter. »Wenn es jetzt angreift, rettet der Kostüm mich nicht«, denkt er. Es zieht sich eine halbe Minute – tatsächlich scheinen es Minuten zu sein. Das Krokodil schaut zur künstlichen Nase, schnuppert, bewertet. Dann dreht es sich langsam weg und legt sich wieder nieder. Barr beginnt sich zu entspannen. Doch er spürt, dass hinter ihm noch etwas Großes liegt. Er kann sich nicht drehen – der Kostüm ermöglicht das nicht. Doch er fühlt: da ist noch ein weiteres Krokodil – riesig, wenn man die Empfindungen glaubt. Es legt sich direkt neben den Kollegen. Auf diese Weise bleibt er insgesamt zehn Minuten lang reglos. In dieser Zeit befestigt er weitere zwei Sensoren an verschiedenen Tieren. Die Raubtiere dösen, gähnen, schatten mit dem Schwanz – wie eine Herde Kühe auf einer Weide. Schließlich ist die Aufgabe erledigt. Drei Sensoren an Ort und Stelle. Doch wie soll man nun wieder gehen? Aufstehen und rennen würde ein Angriff provozieren. Man muss zurückkriechen – so langsam wie zuvor. Barr beginnt seine Flucht – Zentimeter für Zentimeter. Meter für Meter. Die Krokodile reagieren nicht. Zehn Meter zurück. Zwanzig. Dreißig. Es sieht so aus, als könnte er entkommen. Wenn es noch etwa fünfzehn Meter zur Crew sind, darf er sich beschleunigen. Er zieht sich über die Sandbank zurück, klappt sich auf den Rücken und lässt sich dort fünf Minuten lang nieder, völlig außer Gefecht. Als ihn das Team aus dem Metallrahmen befreit, ist unter ihm eine riesige Schweißpfütze. »Nie wieder,« sagt er den Kameraleuten. »Das war das letzte Mal."

Die wichtigsten Sekunden – der Moment der Erkenntnis und der Rückzug

Vermächtnis, Folgen und das heutige Leben

Der dokumentarische Film wurde in vielen Ländern gezeigt. Die Menschen sahen Bilder, die unmöglich schienen: Ein Mensch liegt mitten unter Nilkrokodilen, und sie greifen ihn nicht an. Die Wissenschaftler erhielten wertvolle Daten. Die Sensoren übermittelten mehrere Monate hinweg Temperaturen, Bewegungen und Rastplätze der Krokodile. Das half, ihr Lebensweise besser zu verstehen und Maßnahmen zu entwickeln, um die Art zu schützen. Barr versuchte, den Erfolg mit anderen Tieren zu wiederholen. Er baute einen Hippo-Kostüm mit neunzig Kilogramm. Er wollte Proben ihres Schweißes sammeln. Doch er steckte in Schlamm in Sambia fest, und RANGER waren mit Waffen unterwegs – in der Nähe liefen Elefanten herum. Nach diesem Vorfall endeten die Experimente. Mit über fünfundfünfzig Jahren entschied Barr, dass es genug war. Die Reflexe waren nicht mehr so gut, die Reaktionszeit war langsamer. Es war Zeit, den Jüngeren Platz zu machen. Heute ist Brady Barr sechzigundein Jahre alt. Er arbeitet weiterhin, aber anders: Er führt Bildungsprogramme, schreibt Bücher, hält Vorträge. Zusammen mit seiner Frau Mei Len hat er ein Zentrum eröffnet, in dem Kinder und Erwachsene den sorgsamen Umgang mit der Natur lernen. »Krokodile – einzigartige Wesen«, sagt er. »Sie haben sich über Millionen Jahre kaum verändert. Sie haben Dinosaurier, Eiszeiten, Katastrophen überlebt. Das bedeutet, dass die Natur in ihnen die perfekte Lösung gefunden hat. Sie sind in ihrer Nische vollkommen.« Barr ist überzeugt, dass das größte Problem der Beziehung zwischen Mensch und Krokodilen in einem Missverständnis liegt. Die Menschen sehen in ihnen Monster aus Horrorfilmen. In Wahrheit sind es einfach Tiere, die nach eigenen Gesetzen leben. Sie sind weder böse noch grausam. Sie sind so, wie die Evolution sie gestaltet hat. »Als ich in diesem Kostüm zwischen ihnen lag, erinnere ich mich: Nicht Angst, sondern Interesse. Mir war es spannend zu beobachten, wie sie sich verhalten würden. Und als einer neben mir lag, verstand ich – wir können koexistieren. Wir müssen einfach ihre Territorien respektieren und ihr Verhalten verstehen.« Das Experiment von Barr wurde weltbekannt. Es steht in Zoologie-Lehrbüchern. Studenten sehen es als Beispiel für unkonventionelle Forschungsmethoden. Aber das Wichtigste ist nicht der Ruhm. Wichtig ist, dass er die Wahrnehmung der Krokodile bei Millionen von Menschen verändert hat. Nach diesem Film begannen viele, anders auf diese Raubtiere zu blicken. Es entstand Interesse, man wolle mehr erfahren und verstehen, welche Rolle sie in der Natur spielen. Bar hat diesen Kostüm nie wieder getragen. Er sagt, dass einmal genügt. Das Risiko ist zu groß, und das Alter ist nicht mehr dasselbe. Aber jene zehn Minuten unter Nilkrokodilen markierten den Höhepunkt seiner Karriere – dreißig Jahre lang.

Vermächtnis, Folgen und das heutige Leben