360 Jahre Rätsel gelöst: Magdalena – die mutmaßliche Muse hinter dem Mädchen mit dem Perlenohrring
Vor rund 360 Jahren malte Johannes Vermeer das berühmte Bild „Mädchen mit dem Perlenohrring“. Jetzt behauptet Kunsthistoriker Andrew Graham-Dixon in seinem neuen Buch Vermeer: A Life Lost and Found, das Modell identifiziert zu haben: Magdalena, die zehnjährige Tochter des Mäzens Pieter Claeszoon van Ruijven und Maria de Knuijt aus Delft. Die Mäzene gehörten einer radikalen christlichen Sekte, den Remonstranten, und ihr Glaube soll die Bildsprache Vermeers geprägt haben. Graham-Dixon argumentiert, dass das Gemälde Magdalena so zeigt, wie die Remonstranten Mary Magdalene verehrten. Magdalena wäre im Herbst 1667 zwölf Jahre alt gewesen; wenn sie eine Collegiantin war – eine besonders radikale Ausprägung wie ihre Eltern –, hätte sie sich in jenem Alter dem christlichen Bund verpflichtet haben. In dem Buch heißt es: „Sie (Magdalena) wäre zwölf im Herbst 1667 gewesen, und sofern sie eine Collegiantin war, eine radikalere Ausprägung wie ihre Eltern, hätte sie ihr Bekenntnis zu Christus in jenem Alter abgelegt.“ Die These verbindet Vermeers Malerei eng mit dem Glaubenskontext seiner Mäzene.
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Hintergründe: Vermeer, die Mäzene und die Remonstranten
Der Telegraph berichtete, dass der Maler Vermeer 1665 fast ausschließlich für Pieter Claeszoon van Ruijven und Maria de Knuijt in Delft arbeitete, die Teil der Remonstranten waren. Graham-Dixon argumentiert, diese religiöse Zugehörigkeit präge die Bildsprache nahezu aller Vermeer-Gemälde. Die Remonstranten modellierten ihr Leben an Mary Magdalene und anderen Jüngern Jesu – eine Welt, in der Vermeer als Künstler verankert war. Er verweist darauf, dass jedes Vermeer-Gemälde von den religiösen Überzeugungen von Marie de Knuijt und ihrem Umfeld inspiriert gewesen sei.
Warum Magdalena? Die Begründung von Graham-Dixon
Graham-Dixon stützt seine These auf die ikonische Darstellung: Das pensive looking girl trägt Turban und große Perlenohringe – eine Andeutung an Mary Magdalene. Er schreibt, Magdalena hätte im Herbst 1667 zwölf Jahre alt sein können, und als Collegiantin – einer radikaleren Ausprägung der Remonstranten – sich in jenem Alter dem christlichen Bund zugehörig erklärt. Zudem habe Vermeer selbst in Remonstranten-Kreisen gelebt und an Collegiant-Gruppen teilgenommen; seine Malerei sei von dem Glauben geprägt, den Marie de Knuijt und ihr enger Kreis hegte. In seinen Ausführungen heißt es, dass jedes Vermeer-Werk von dieser religiösen Welt inspiriert gewesen sei.
Gegenargumente und Debatte
Ruth Millington, Autorin von Muse: Uncovering the Hidden Figures Behind Art History’s Masterpieces, hält die These für fragwürdig: Die Anziehung dieses Gemäldes liege im Rätsel der Muse; es sei kein direktes Porträt eines erkennbaren Sitters, sondern ein Tronien – ein Bild einer imaginären Figur. Zu oft werde Kunstbiografie als Biografie gelesen, während dahinter oft mehr Komplexität steckt. Tracy Chevalier, Autorin von Girl With a Pearl Earring, betont, dass das Bild „funktioniert, weil es ungelöst bleibt“: Man könne nie sicher sagen, was sie denkt oder fühlt; wäre es geklärt, müsste man zum nächsten Gemälde übergehen.
Was bleibt? Kunst, Glaube und das offene Rätsel
Der Streit zeigt, wie Biografie und Symbolik in der Kunstgeschichte miteinander verwoben sind. Vermeer bleibt rätselhaft, und Leserinnen und Leser suchen weiterhin nach einer Deutung, die über reine Biografie hinausgeht. Der Diskurs wird durch Graham-Dixons Buch weiter befeuert, während Millingtons und Chevaliers Perspektiven an Bedeutung gewinnen. Was denken Sie? Teilen Sie Ihre Meinung in den Kommentaren. Der Roman von Chevalier, der die Geschichte rund um das Gemälde popularisierte und die 2003 verfilmte Adaption mit Scarlett Johansson inspirierte, erinnert daran, wie fiktionale Ebenen die Wahrnehmung von Kunst beeinflussen können.